Gefährdungsbeurteilung – kein Buch mit sieben Siegeln (VISION ZERO)Die VISION ZERO ist die Vision einer Welt ohne Arbeitsunfälle und arbeitsbedingte Erkrankungen. Dieser Vision folgt die Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe (BGN) und auch der Deutsche Schaustellerbund sowie der Bundesverband Deutscher Schausteller und Marktkaufleute, die seit November 2022 Kooperationspartner der VISION ZERO sind.
„Keine Unfälle“ und „keine arbeitsbedingten Erkrankungen“ ist sicher etwas, das sich auch viele Schausteller-Unternehmen wünschen, denn das bedeutet: kein Personalausfall, gut funktionierende Abläufe, weniger Stillstände, zufriedenere und motiviertere Beschäftigte. Doch wie erreicht man dieses Ziel? Die BGN schlägt vor, sich dazu mit sechs zentralen Aspekten der Betriebsführung auseinanderzusetzen, die als sechs Bausteine der VISION ZERO bezeichnet werden (vgl. https://www.bgn.de/vision-zero/die-vision-und-ihre-umsetzung). Eine zentrale Rolle kommt dabei der Gefährdungsbeurteilung, sie ist der Grundstein der VISION ZERO.
„Null Unfälle – gesund arbeiten“, das funktioniert natürlich nur, wenn für alle Tätigkeiten im Betrieb bekannt ist, welche Gefährdungen und Belastungen es dort gibt. Anschließend müssen geeignete Schutzmaßnahmen festgelegt und diese konsequent umgesetzt werden. Den damit verbundenen Prozess und die zugehörige Dokumentation bezeichnet man als Gefährdungsbeurteilung. „Aller Anfang ist schwer“, das zeigen die Gespräche und Diskussionen mit den Verantwortlichen in den Betrieben. Teilweise scheitert die Gefährdungsbeurteilung schon daran, dass man im Unternehmen nicht weiß, wie man die Aufgabe überhaupt anpacken soll. Zudem fehlt im Alltag eigentlich immer die Zeit „für so etwas“ und ein echter Nutzen wird auch nicht gesehen, stattdessen sinnloser bürokratischer Aufwand unterstellt. Wie also beginnen?
Schaustellerunternehmen haben in der Regel nur wenige Beschäftigte und sind familiär geführt. Das ermöglicht eine kompakte Form der Gefährdungsbeurteilung. Speziell für diese Betriebe hat die BGN eine kompakte Handlungs- und Dokumentationshilfe erstellt: Die Arbeitssicherheitsinformation ASI 10.7 „Arbeitsbedingungen in Schausteller- und Zirkusbetrieben sowie Zelthallen verbessern“ (siehe https://www.bgn.de/praevention-arbeitshilfen/sicher-und-gesund/gefaehrdungsbeurteilung/asi_10-7.pdf). Diese Handlungshilfe erfordert ein Minimum an Schreibaufwand – das heißt allerdings nicht, dass anschließend nichts mehr zu tun ist, denn im Zentrum des Ansatzes steht die Umsetzung von Maßnahmen.
Die ASI 10.7 startet mit einem Teil A zu verschiedenen Aspekten der Betriebsorganisation. Die Pflichten der Betriebe zu den Themen „Organisation und Führung“, „Information und Kommunikation“, „Arbeitsablauf und -organisation“, „Einkauf und Beschaffung“ sowie „Notfallvorsorge“ sind für alle Betriebe gleich, es handelt sich um grundlegende Dinge, die jeder Schausteller beachten muss. Das gilt auch für die in Teil B beschriebenen „Arbeitsbereichsübergreifenden Anforderungen“.
Die übrigen Teile der Handlungshilfe folgen dann den Ablaufschritten beim Betrieb von Schausteller-Geschäften: „Transport“ (Teil C), „Auf- und Abbau“ (Teil D), „Spielbetrieb“ (Teil E) sowie „Wartung, Instandhaltung, Reinigung“ (Teil F). Die typischen Gefährdungen, die bei den einzelnen Tätigkeiten bereits bekannt sind, stehen für jeden Ablaufschritt bereits da, darunter folgt eine Liste erforderlicher Maßnahmen. Entscheidend ist, hier nicht nur „schnell etwas anzukreuzen“, sondern ernsthaft zu überlegen, ob die Maßnahmen tatsächlich bereits umgesetzt werden und falls nicht, wer für die Umsetzung jetzt verantwortlich ist und bis wann. Nur so ist sichergestellt, dass die vom Gesetzgeber geforderte „Beurteilung der Arbeitsbedingungen“ angemessen durchgeführt wird.
Der modulare Aufbau der Handlungshilfe hat auch den Vorteil, dass man nur die Abschnitte bearbeiten muss, die auf den eigenen Betrieb zutreffen. Wer beim Auf- und Abbau weder einen Gabelstapler noch einen Kran benutzt, muss sich um diese Teile (D2 und D3) nicht kümmern. Schausteller, die ein Schieß-, Verkaufs- oder Ausspielungsgeschäft betreiben, müssen sich nicht mit Bedien- und Steuertätigkeiten (E1) oder mit Tätigkeiten als Anweiser (E2) auseinandersetzen, ebenso wie um „Tätigkeiten in Zelthallen“ (E4), „Artistische Vorführungen“ (E5) oder die „Haltung und Vorführung mit Tieren“ (E6). Der Umfang der Beurteilung verringert sich so noch einmal und ist damit auch in der Praxis gut leistbar.
Die BGN bietet diese Handlungshilfe unter https://vorschriften.bgn-branchenwissen.de/daten/check/bgn_zirkus/1_ga_check.htm auch als elektronisch ausfüll- und speicherbare Checkliste an.
Mit einer funktionierenden Gefährdungsbeurteilung ist es dann leicht möglich, auch die anderen VISION ZERO-Bausteine anzupacken. Für die Unternehmerin oder den Unternehmer ist die Gefährdungsbeurteilung ein unverzichtbares Instrument, um den Arbeitsschutz zu gestalten und zu fördern, z. B. durch Unterweisungen, Anweisungen und Schulungen sowie durch Anerkennung bei sicherem und durch Korrekturhinweise bei unsicherem Verhalten. Aus den im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung festgelegten Maßnahmen ergeben sich automatisch auch die Verhaltensregeln für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Und durch die regelmäßige Wirksamkeitsprüfung und Anpassung der Gefährdungsbeurteilung gelingt es, gemeinsam aus Fehlern zu lernen.
Die Gefährdungsbeurteilung ist also kein Selbstzweck und keine weitere bürokratische Auflage des Gesetzgebers. Versteht man sie als lebendiges Instrument, dann fördert sie das Wohl der Beschäftigten, aber auch die Leistungsfähigkeit, die Betriebs- und die Rechtssicherheit des Unternehmens.
Ihr Branchenkoordinator:
Rolf Jungebloed, BGN
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